Zwei Jahre und zehn Monate für Hintermänner der DR Verwaltung AG

03.07.2023 – In diesem Blog berichten wir seit mehr als zwölf Jahren unter anderem über Anzeigen- und Adressbuchabzocke. Wir schrieben zu diesen Businessmodellen der speziellen Art:

"Ermittlungsverfahren und Verurteilungen durch die Strafjustiz zeigen, dass die Grenzen zur Wirtschaftskriminalität bei manchen fließend sind."

Das Landgericht Bonn (LG Bonn, Urteil vom 22.07.2022 – 27 KLs 4/21; nicht rechtskräftig) würdigte nun die Hintermänner der Firma DR Verwaltung AG als das, was sie nach der Feststellung des Gerichts sind: Kriminelle. Wegen Betruges in 353 Fällen, teilweise waren sie im Versuchsstadium stecken geblieben, wurden sie zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Ohne Bewährung, denn die ist bei mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe nicht möglich.

Aus Gründen besserer Performance stellen wir das Urteil in zwei Teilen ein:

[LG Bonn, Urteil vom 22.07.2022 – 27 KLs 4/21, Seiten 1 – 59]
[LG Bonn, Urteil vom 22.07.2022 – 27 KLs 4/21, Seiten 60 – 111]


Aus Bonn mit der Trickformularmasche

Über die DR Verwaltung AG und ihr Geschäftsmodell der besonderen Art hatten wir in unserem Blog öfter berichtet:

[Zum Blog-Beitrag vom 18.03.2015: Alter Hut mit neuem Namen: die DR Verwaltung AG aus Bonn mit dem Firmenregister USTID-Nr.de]

[Zum Blog-Beitrag vom 08.09.2015: DR Verwaltung AG mit Firmenregister USTID-Nr.de - jetzt soll Anwalt Arnold E. Schiemann das Geld beitreiben]

[Zum Blog-Beitrag vom 31.05.2016: Bundesnetzagentur gegen DR Verwaltung AG und Europ Reg Services Ltd – ein Angriff von unerwarteter Seite]

Man versuchte aus Bonn mit der Trickformularmasche an die Unterschriften von Gewerbetreibenden und Freiberuflern zu gelangen. Und natürlich an ihr Geld. Für einen Eintrag in dem privaten Internetverzeichnis USTID-Nr.de, einem angeblichen Verzeichnis „Deutsches Firmenregister zur Erfassung und Registrierung inkl. Umsatzsteuer-Identifikationsnummern“. Seit langem gibt es die Seite nicht mehr. Bis dahin führte sie ein der Öffentlichkeit unbekanntes Schattendasein.

[Adressbuchschwindel mit Trickformularen]

Das schmutzige Geschäft mit den Trickformularen hatte man groß begonnen. Wer Millionen machen will, muss schon einiges investieren. Man investierte in sogenannte Druckstraßen. Bestehend aus vier leistungsfähigen Druckmaschinen mit einer Größe von jeweils vier bis fünf Metern.


Mit Strohpüppchen

Die beiden Hinterleute der DR Verwaltung AG scheuten selber dabei das Licht. Sie stellten eine Strohpuppe ein. Später wurde der Mann verurteilt. Wegen Betruges bekam er ein Jahr und neun Monate. Zur Bewährung.

[Zum Blog-Beitrag vom 02.06.2018 - Urteil: Ein Jahr und neun Monate – von der GWE Wirtschaftsinformations GmbH zur DR Verwaltung AG]

Nach der Verurteilung der Strohpuppe ging es nun den Hinterleuten, einem Bruderpaar, an die weißen Kragen. Das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL schrieb seinerzeit in einem Onlineartikel:

„Zurückhaltung und Bescheidenheit scheinen nicht die ganz großen Stärken der Gebrüder K […] zu sein. Frechen bei Köln: Vor dem Bürogebäude der Geschäftsmänner gegen die unter anderen derzeit ermittelt wird, parken ein weißes Audi-Cope und ein knallgelbes Cabrio der Marke Ferrari. Blitzblank poliert funkeln die Karossen in der Abendsonne, während die SPIEGEL-TV Reporter abgekanzelt werden: „Kein Kommentar!“


Nur 353 Fälle?

Nach langer Ermittlungsdauer klagte die Staatsanwaltschaft das Brüderpaar vor der 7. Großen Strafkammer des Landgericht Bonn an. Wegen Betruges in 353 Fällen, davon in 219 versucht. Die Zahl erstaunt außerordentlich. Allein bei dem, was bei uns an Mandaten nachgefragt worden war, hätten wir sie größer geschätzt. Wesentlich größer. Aber vielleicht hat man auch bewusst nicht allzu genau hingesehen. Verfahrensökonomie nennt sich sowas. Und es macht in der Tat nicht immer Sinn, noch den letzten kleinen Fall aufzuklären, wenn sich am „Endergebnis“ dadurch nichts wesentlich ändern würde. Zumal auch die Dauer des Bonner Verfahren schon erstaunte. Übrigens erhielten die Brüder dafür einen Rabatt. Von der Freiheitsstrafe gelten zwei Monate bereits als vollstreckt. Ohne dass sie sich auch nur eine Minute in Haft befanden.


"Mit der Möglichkeit einer Strafbarkeit ihres Geschäftsmodells gerechnet"

Die 7. Große Strafkammer des Landgericht Bonn bewertete das Vorgehen der Brüder als Betrug. Aus dem Urteil:

„Die Angeklagten, denen alle tatsächliche Umstände bekannt waren, handelten auch vorsätzlich sowie in Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern. Zunächst kam es ihnen gerade darauf an, die Adressaten durch den Inhalt und die Gestaltung ihrer Schreiben zu täuschen und sie so zu dem Eingehen einer Zahlungsverpflichtung und schließlich auch zu der Zahlung zu bringen, so dass sie insoweit absichtlich handelten. Dass dieser Verpflichtung keine entsprechende Leistung gegenüberstand, wussten die Angeklagten. Sie kannten die objektiven Umstände, aus denen sich dies unschwer ergibt. Dass die Angeklagten ihre Leistung nicht als ausgleichend angesehen haben, ergibt sich auch daraus, dass diese […] faktisch versteckt wird. […]

Dass die Angeklagten grundsätzlich mit der Möglichkeit einer Strafbarkeit ihres Geschäftsmodells gerechnet haben, ergibt sich schon daraus, dass sie nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme Rechtsrat gerade dazu eingeholt haben, ob sie sich so einer Strafverfolgung wegen Betruges aussetzen […].

Dass die Rechtsberatung zu Beginn oder im Verlauf der Tathandlungen zu dem abschließenden und verlässlichen Ergebnis geführt hat, eine Strafverfolgung wegen der Schreiben […] sei ausgeschlossen, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben.“


„Erhebliche kriminelle Energie“

Eine niedrige Strafe, die noch zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können, kam nach Auffassung des Gerichts nicht in Betracht. Noch einmal aus dem Urteil:

„Eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich kam nach Überzeugung der Kammer insbesondere im Hinblick auf die erhebliche kriminelle Energie, die die Angeklagten durch die Gründung der Firma und die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes über mehrere Jahre hinweg aufgewendet haben, auch im Hinblick auf den mittlerweile eingetretenen erheblichen Zeitablauf nicht in Betracht.“

Da half auch nicht der im Urteil erwähnte Wunsch eines der Brüder, bald zu heiraten und Kinder bekommen zu wollen.


Mit einem Bein im Gefängnis

Dass Geschäft mit Trickformularen wird bis heute von der Abzockerszene immer wieder benutzt. Wer regelmäßig unseren Blog liest, kennt die Namen.

Die Brüder haben gegen das Urteil nach unserer Kenntnis Revision zum BGH-Bundesgerichtshof eingelegt. Dass ist einerseits ihr gutes Recht und es wäre andererseits geradezu ein Fehler, es nicht zu tun. Die Folge wird aber sein, dass sich das höchste deutsche Strafgericht mit diesem Geschäftsmodell beschäftigt. Und sei es nur, dass die Revision kurz und knapp zurückgewiesen wird. Das hat dann aber auch Auswirkung auf all die Stroh- und Hinterleute, die noch immer nicht die Hände von der Masche mit den Trickformularen lassen können. Sie stehen dann mit einem Bein im Gefängnis. Möglicherweise auch mit dem zweiten, wenn sie zu einer Strafe verurteilt werden, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt wird.


Die DR Verwaltung AG gibt es nicht mehr

Am 07.02.2018 nannte sie sich um in MH Dienstleistung AG. Am 19.03.2019 wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet und die Gesellschaft aufgelöst.




Die „Szene“ wird vorsichtig: immer öfter betreibt man die Abzocke mit Trickformularen aus dem Ausland:

[Zum Blog-Beitrag vom 26.06.2018 - EUCOMDAT Company Data GmbH, European Data Ltd. & Co auf Auftragsjagd für vat-identification.eu oder vat-id.org]

[Zum Blog-Beitrag vom 24.10.2018 - Messeabzocke: noch eine Firma MULPOR Company taucht auf – nun aus Costa Rica]

[Zum Blog-Beitrag vom 28.01.2019 - Branchenbuchbetrug aus (angeblich) Spanien: ProData mit wirtschaft-gewerberegister.info]

[Zum Blog-Beitrag vom 19.03.2019 - 2. Teil zu Betrugsversuch mit Trickformular: „FS24“ und „Onlinebranchenbuch“ – die Firmensuche24 Ltd taucht auf]

[Zum Blog-Beitrag vom 10.04.2019 - Branchenbuchabzocke: die Schweizer Public Media GmbH mit branchen-atlas.net]

[Zum Blog-Beitrag vom 12.11.2020: Digi Medien GmbH und KVG Kreditoren Verwaltungs-AG – mit Trickformularen an Geld für brancheneintrag.online]

[Zum Blog-Beitrag vom 14.02.2022 - Mit Trickformularen: die Masche der Firmen Global Media GmbH LLC und Proconcepta GmbH]

[Zum Blog-Beitrag vom 23.06.2023 - Ausstellerabzocker auf Messen: die Expo Guide S de RL de CV aus Mexiko]




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